Schiefe Ebene

Die erste Steilbahn Europas

 

Zwischen den Bahnhöfen Neuenmarkt-Wirsberg und Marktschorgast verläuft heute noch eine Eisenbahnlinie, die zur Zeit ihrer Entstehung in den Jahren 1844 bis 1848 europäische Eisenbahngeschichte geschrieben hat – handelt es sich doch hier um die erste Strecke in Europa, die einen bedeutenden Höhenunterschied überwinden musste und dabei ohne zusätzliche technische Hilfsmittel befahren werden konnte!

 

Mit der ersten Fahrt der Dampflok "Adler" von Nürnberg nach Fürth begann am 7.12.1835 in Deutschland das Eisenbahnzeitalter; der Erfolg dieser ersten Linie führte schon bald zur Gründung zahlreicher weiterer privater Eisenbahn-Gesellschaften. Auch die Ludwigseisenbahn strebte danach, ihre Linie über Fürth hinaus nach Bamberg und Hof zu verlängern – dort sollte der Anschluss nach Sachsen gesucht werden.

 

Bei der Planung dieser Strecke stieß man auf ein Problem: während die bisherigen Strecken, gebaut nach dem „Englischen System“ (mit großen Kurvenradien und befahren mit Lokomotiven mit starrem Fahrwerk, die meist aus England importiert wurden), in Tallagen mit geringen Neigungen geführt werden konnten, hätte hier ein großer Höhenunterschied zwischen dem Maintal und der Hochebene zwischen Fichtelgebirge und Frankenwald bewältigt werden müssen.

 

Wegen dieses unkalkulierbaren Risikos wollte die Gesellschaft die Linie über Coburg verlegen – und prompt entzog ihr König Ludwig I. wegen Vertragsverletzung die Konzession. Mehr noch: der König entschied, die Strecke nun auf Staatskosten zu errichten und die Linie als insgesamt 566 km lange „Ludwigs-Süd-Nord-Bahn“ von Lindau über Augsburg und Nürnberg nach Hof und weiter an die Nordgrenze des Reichs als erste grenzüberschreitende Staatsbahn zu bauen – bereits am 14. 1.1841 wurde dazu der Vertrag mit Sachsen geschlossen.

 

Nicht gelöst war damit natürlich das Problem des Aufstieges an der „Fränkischen Linie“: nach neuerlicher Prüfung alternativer Linienführungen entschied man dann doch, den Höhenunterschied durch eine kurze, aber sehr steile Trasse unter Anwendung technischer Hilfsmittel überwinden zu wollen. Geeignet hierzu erschien ein Seitental zwischen den Ortschaften Neuenmarkt und Marktschorgast – die Variante über Wirsberg schied aus, da hierzu u. a. zu viele Gebäude hätten abgerissen werden müssen.

 

Als technische Hilfsmittel wurden diskutiert:

 

  • Pferdebetrieb (viele Pferde ziehen Wagen einzeln den Berg hoch)

  • "atmosphärische Bahn" (Kolben in Unterdruck-Röhre zieht Wagen hoch)

  • Seilzugbetrieb mit ortsfesten Dampfmaschinen (zieht gesamten Zug hoch)

 

Die eigentlich aus heutiger Sicht naheliegende Lösung "Zahnradbahn" konnte noch nicht in Erwägung gezogen werden, denn sie wurde erst später erfunden (Mount Washington, USA, 1866).

 

So entschied man sich für die Anlage von drei geradlinigen, konstant geneigten Rampen (Steigung 1: 29), über die nacheinander die Züge mitsamt Lokomotive durch insgesamt 6 stationäre Dampfmaschinen und Seilzüge hochgezogen werden sollten, unterstützt von talwärts laufenden "Ballastwägen".

 

Der physikalische Begriff "schiefe Ebene" für derartige Rampen hat sich umgehend als Eigenname für diesen Aufstieg verselbständigt und blieb bis heute erhalten, während alle anderen folgenden Bergstrecken nach topografischen Bezeichnungen benannt wurden (z. B. Geislinger Steige, Frankenwaldbahn, Spessartrampe).

 

Obwohl umgehend 1842 mit der Detailplanung begonnen wurde, suchte man nach Möglichkeiten zur Kostenreduzierung und wurde in Amerika fündig: dort war es zwischenzeitlich gelungen, Lokomotiven mit Drehgestellen und gekuppelten Antriebsrädern zu entwickeln, die enge Kurven und starke Steigungen befahren konnten. Eine neue Lösung auch für die „Schiefe Ebene“ an der bayerischen Ludwig-Süd-Nord-Bahn!

 

Nun wurde umgeplant: zwischen den Stationen Neuenmarkt (348 m ü. NN) und Marktschorgast (505 m ü. NN) wurde eine 7 km lange Trasse projektiert, die konstant 1:40 (25 %o) geneigt war, sich aber jetzt mit engen Kurven (bis herunter zu 403 m Radius) an das Gelände anpassen konnte. Auf technische Hilfsmittel, Tunnel und ein großes Viadukt konnte nun verzichtet werden; die Züge sollten allein mit ihren Lokomotiven und einer zusätzlichen 3-achsigen Vorspannlokomotive über den Berg gebracht werden.

 

Dennoch erforderte diese Trassierung eine Reihe von Kunstbauten, die bis dahin ohne Vorbild waren und die „Schiefe Ebene“ bis heute einmalig und zum Prototypen für alle folgenden Gebirgsstrecken machen – schließlich wurden weit spektakulärere Alpenbahnen wie die Semmeringlinie oder die Gotthardstrecke später nach gleichen Grundsätzen gebaut!

Zur Überwindung von Seitentälern und zur Anlehnung an die Hänge wurden zwei insgesamt 1 400 m lange Steindämme gebaut, die bis zu 32 m Höhe erreichen. 3 Straßen- und 10 Bahnbrücken sowie zahlreiche Durchlässe und Wasserkaskaden mussten von 1844 bis 1848 errichtet werden – diese Bauwerke sind bis heute fast unverändert erhalten geblieben und sind durch den „Lehr- und Informationspfad Schiefe Ebene“ gut zu erreichen.

 

Am 1.11.1848 konnte schließlich der Abschnitt Neuenmarkt – Hof der Ludwig-Süd-Nord-Bahn zusammen mit der Schiefen Ebene in Betrieb genommen werden. Obwohl ohne Vorbild gebaut hat sich die gewählte Betriebsweise bewährt – alle Anforderungen konnten erfüllt werden. Nach mehreren Kupplungsrissen aufgrund der hohen Zugkräfte wurde allerdings vom Vorspann- zum Schiebebetrieb übergegangen, und daran sollte sich für die nächsten 125 Jahre nichts mehr ändern.

 

Im Laufe der Zeit entwickelte die Bayerische Staatsbahn immer stärkere Lokomotiven für den Zug- und Schiebedienst, bis hin zur legendären Gt 2x 4/4 (spätere Baureihe 96). Diese „stärkste und schwerste Tenderlok Europas“ war speziell für die bayerischen Rampenstrecken ab 1913 gebaut worden, kam aber erst ab 1935 auf der Schiefen Ebene zum Einsatz: für den Bau der Reichsautobahn München – Berlin waren durch die Reichsbahn schwere Materialzüge bergwärts zu befördern, für die die kräftigsten Zug- und Schiebeloks benötigt wurden.

In diesen Jahren war die Schiefe Ebene auch in den internationalen Verkehr gut einbezogen, es gab Schnellzug- bzw. Kurswagenläufe wie: Saarbrücken – Breslau, Paris – Hof, Genf – Warschau und Zürich – Breslau

 

1936 lief ein Kurswagen in D 117/118 sogar von Warschau nach Genua – Ventimiglia – ein später nie mehr erreichter Langlauf über 2100 km!

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg sorgte die Grenzziehung für einen erheblichen Verkehrsrückgang auf der Strecke von Bamberg nach Hof – um 1967 konnte deshalb das 2. Streckengleis zwischen Stammbach und Marktschorgast zurückgebaut werden. Dennoch rollten weiterhin Schnellzüge und die „Interzonenzüge“ über die Steilrampe – natürlich immer noch dampfbespannt. Um 1970 zeichnete sich ab, dass das Bahnbetriebswerk Hof zur letzten Einsatzstelle der berühmten Schnellzuglok Baureihe 01 wird, die Tag für Tag auf der Schiefen Ebene bis an ihre Leistungsgrenze gefordert wurde. So zog es in diesen Jahren die Eisenbahnfreunde aus aller Welt scharenweise an die Steilrampe, weil nur noch hier schwer arbeitende Schnellzugdampflokomotiven erlebt werden konnten.

 

Im Juni 1973 wurden die letzten Exemplare der Baureihe 01 mit einer Großveranstaltung aus dem Betrieb verabschiedet; ihre Leistungen wurden von der neuen Diesellok Reihe 218 übernommen. Jetzt gab es nur noch vereinzelt Dampfloks der Reihe 50 vor Nahverkehrszügen zu sehen, soweit nicht schon Schienenbus, 280 (V 80) oder 211 (V 100) unterwegs waren.

 

Am 11. Januar 1975 verkehrte der letzte planmäßig mit einer Dampflokomotive bespannte Personenzug über die Schiefe Ebene, nun war der Betrieb voll in der Hand der Dieselmaschinen. Die Schnell- und Eilzüge in den 70er bis 90er Jahren waren dem Verkehrsaufkommen angepasst und deshalb so kurz, dass ein Nachschieben über die Schiefe Ebene nicht mehr erforderlich war. Güterzüge gab es kaum noch, die Warenströme umgingen den Berg auf anderen Trassen – lediglich ein fallweise nach Hof verkehrender Militärzug war auf die Hilfe einer zweiten und manchmal sogar dritten Lok angewiesen. Nach Gründung der DB AG hielten moderne Triebwagen Einzug auf der Bergstrecke und mit ihnen die Neigetechnik, die auch und gerade auf dieser kurvenreichen Strecke Fahrzeitverkürzungen ermöglichte. Die Neigetechnik-VT 612 sind so gut motorisiert, dass bergwärts ohne weiteres eine Geschwindigkeit von 110 km/h erreicht werden kann – so bemerkt der heutige Fahrgast überhaupt nicht mehr, welch geschichtsträchtige Strecke er eigentlich befährt!

 

Eine kurze Aufwertung erfuhr die historische Trasse um den Jahrtausendwechsel, als im Rahmen des Ausbaus der „Franken-Sachsen-Magistrale“ Nürnberg – Dresden die Bahn den Einsatz neuer Neigetechnik-ICE's der Baureihe VT 605 vorsah. Um einen Richtungswechsel der zum Teil über Bayreuth geführten Fernverkehrszüge im Bahnhof Neuenmarkt-Wirsberg zu vermeiden, wurde hierfür eigens die „Schlömener Kurve“ als direkte Anbindung der Schiefen Ebene aus Richtung Süden gebaut.

 

Ab Juni 2001 rollten die luxuriösen weißen Züge, die einen bis dahin nicht gekannten Komfort auf diesem Teilabschnitt der Ludwig-Süd-Nord-Bahn boten. Leider hatten die neuen Fahrzeuge mit zahlreichen technischen Problemen zu kämpfen, so dass die DB AG sich gezwungen sah, nach schwerwiegenden Pannen die Züge abzustellen und damit den ICE-Verkehr wieder einzustellen.

 

Mehr Erfolg hatte die Regentalbahn, die ihren Cargo-Bereich in Neuenmarkt angesiedelt hat und den von der DB wegrationalisierten Güterverkehr neu beleben konnte. So fahren heute wieder regelmäßig Containerzüge über die Steilrampe, die oft so gut ausgelastet sind, dass sie – wie früher – von einer Schiebelok über den Berg gedrückt werden müssen!

 

Darüber hinaus halten die Sonderfahrten des DDM-Schienenbusses und Jahr für Jahr einige Dampfsonderzüge die Erinnerung wach an die Zeiten, in denen die Steilstrecke „Schiefe Ebene“ noch hohe Anforderungen an den Eisenbahnbetrieb und die Personale stellte.

 

(Verfasser: Roland Fraas, Arbeitskreis Initiative Schiefe Ebene, Juni 2007)

Quellenverzeichnis:
Steffen Lüdecke: "Die Schiefe Ebene - eine legendäre Eisenbahnstrecke"

EK-Verlag Freiburg 1993

Gernot Dietel, Roland Fraas: "Beiträge zur Münchberger Stadtgeschichte

Band 1 - Eisenbahn in Münchberg 1848 - 1998" MHZ Verlags GmbH Münchberg 1998

Roland Fraas "140 Jahre Schiefe Ebene" Heimatbeilage Nr. 148 zum Amtlichen Schulanzeiger, Bayreuth 1988

Akten des Verkehrsarchivs Nürnberg

 

Weitere Informationen über die „Schiefe Ebene“ können im Deutschen Dampflokomotiv Museum in Neuenmarkt erhalten werden.